Kapitel 8


 

Der Mann in Schwarz löste sich aus dem Schatten der Principia und ging auf die Menschenmenge zu, die bei seinem Anblick verstummte. Eine ruhige Stimme fragte: "Habt ihr einen Jungen von etwa sechs Fuß Größe in Begleitung eines Mädchens gesehen?"

***

 

Es war tatsächlich das größte Gebäude, das Johannes im Lager bisher gesehen hatte. Er schätzte es auf mindestens 150 mal 75 Meter, und wie Lucia ihm mitgeteilt hatte, besaß es - ebenso wie die Principia - einen großen Innenplatz. Sie waren nach rechts gegangen und umrundeten gerade das Valetudinarium, während Lucia erzählte: "Jeder der vier Flügel unseres Lazaretts besitzt zwei Reihen von Kammern, darunter einige Operationsräume." - "Diese Räume mußt du mir wirklich nicht zeigen. Ich kann mir das Werkzeug darin lebhaft vorstellen." Sie blickte ihn fragend an, und er meinte: "Ich möchte bei euch lieber nicht krank werden oder mich verletzen." Da sie ihn anscheinend nicht verstand, versuchte er, das Thema auf etwas anderes lenken: "Wo sind eigentlich die Kasernen der Soldaten? Schließlich ist das doch hier ein Römerlager!" Sie hatten das Lazarett bereits um zwei Ecken umrundet, als Lucia plötzlich stehenblieb und ihm auf der linken Seite einige Gebäude zeigte: "Hier stehen deine Kasernen. Eine Kohorte mit sechs Centurien à 80 Mann belegt vier Kasernenbauten. Zwei Centurien besitzen je einen ganzen Kasernenbau, die restlichen vier sind immer zu zweit in einer Doppelkaserne untergebracht.

An einem Ende der einfachen Kasernen befinden sich die Gemächer des zuständigen Centurios, bei der Doppelkasernen an beiden Enden." - "Ich dachte, daß eine Centurie immer hundert Mann stark wäre. Eben hast du allerdings von 80 Mann gesprochen."

Sie seufzte: "Ich kenne mich doch nur mit dem Bonner Lager aus, und hier sind die Centurien der zweiten bis zehnten Kohorte eben 80 Mann stark. Dafür spielt die erste Kohorte eine wichtigere Rolle, denn ihr unterstehen 1000 Mann. Außerdem sagt man ihr nach, daß es diesen Soldaten besser geht als denen der restlichen Kohorten." - "Ach, und wo ist diese Eliteeinheit untergebracht?" - "Ihre Kasernen liegen direkt neben dem Praetorium und grenzen an die Verteidigungsanlage, aber das ist nichts Besonderes. Alle Kasernen liegen direkt am Wehrgang, damit unsere Soldaten im Verteidigungsfall einen kurzen Weg haben, aber die Kasernen der ersten Kohorte, die liegen auf der rechten Seite der Principia." Er grinste: "Es wäre mir als Soldat eigentlich egal, in einer Kaserne links oder rechts der Principia stationiert zu sein. Das macht im Kampf auch keinen Unterschied." Sie verzog ihr Gesicht zu einer Grimasse, und er vermutete, daß sie sich Sorgen um ihren Vater machte. "Komm,", meinte er leise, "zeig mir das weitere Lager.", und sie setzten sich wieder in Bewegung. "Ich könnte dir noch das Bad zeigen.", meinte sie langsam, "Nur die Offiziere haben in ihren Unterkünften eigene Bademöglichkeiten und Toiletten. Die einfachen Legionäre sind auf das Gemeinschaftsbad angewiesen, und das ist hier ganz in der Nähe."

Sie näherten sich wieder der Via principalis, als bei Johannes der Groschen fiel: "Der größte Teil eurer 6000 Leute benutzt also eine Gemeinschaftstoilette?" Sie mußte unwillkürlich über seinen entsetzten Gesichtsausdruck lachen, und Johannes war froh, Lucia von ihren Sorgen abgelenkt zu haben. "Und wenn der Wind ungünstig steht, dann...", begann er, und Lucia setzte seinen Gedanken fort, "...dann stinkt es hier ziemlich ."

Sie standen wieder auf der Via principalis und links konnte Johannes das Nordtor des Lagers erkennen. Wieder wurde er von den schieren Ausmaßen der ganzen Anlage überwältigt.

 


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